Die ersten Findlinge waren heuer zwei ca. 3 Wochen alte Waldkäuze, die über die Veterinärmedizinische Universität zu uns gekommen sind.
Über die Gründe, weshalb diese beiden in Menschenhand gekommen sind, wissen wir nichts Genaueres, generell gilt, dass junge Eulen und Käuze in diesem Alter schon selbstständig ihr Nest verlassen – sie befinden sich in der so genannten Ästlingsphase. Das heißt, sie sitzen in der Umgebung ihres Nestes auf Bäumen, Büschen oder auch auf dem Boden und werden dort weiterhin von ihren Eltern bewacht und gefüttert.
Solche Jungvögel sollten auf keinen Fall ohne genauere Beobachtung der Situation "gerettet" werden!
Nur wenn ihr vorübergehender Sitzplatz sehr ungünstig liegt - z.B. neben einer stark befahrenen Straße - und keine Möglichkeit besteht die Tiere an einen sicheren Ort wie einen in der Nähe stehenden Baum, einen höher liegenden Balkon oder ein ungestörtes Flachdach zu verbringen und wenn nach längerer (mehrstündiger) Beobachtung in der Dämmerung aus größerer Entfernung (mit einem Feldstecher) kein Altvogel beim Füttern der Jungen zu beobachten ist, besteht wirklich ein Grund einzugreifen und die Jungvögel mitzunehmen.
Nähere Infos am Ende dieses Artikels.
Etwas anders war die Situation dieser kleinen wenige Tage alten Waldohreule, die uns aus Bad Pirawarth gebracht wurde.
Sie stürzte mitsamt ihrem Nest und ihren beiden Geschwistern, die den Sturz leider nicht überstanden haben, von einer hohen Föhre. In ihrem Alter kann sie ohne die Wärme und Fürsorge der Mutter und ohne ihr Nest nicht überleben. Glücklicherweise wurde sie von einer Spaziergängerin gefunden und zu uns gebracht.
In unserem eigenen Garten fanden wir eine aus dem Nest gefallene junge Amsel.
Wir konnten sie ihren schon besorgt suchenden Eltern wieder zurückgeben.
Vogeleltern nehmen den eventuellen Menschengeruch ihrer Jungen übrigens nicht wahr – sie können Jungvögel daher unbesorgt in die Hand nehmen, um sie wieder ins Nest oder an einen anderen sicheren Ort zu setzen.
JUNGVÖGEL
ausgestoßen, verloren, verwaist, verlassen?
Nestling – Ästling
Die Jungen vieler Vogelarten, so auch aller Greifvogel- und Eulenarten, schlüpfen blind und hilflos aus ihrem Ei. Sie sind bis über das Ausfliegen hinaus von ihren Eltern abhängig. Solange sie in dem Nest oder der Höhle ihrer Eltern verbleiben und diese freiwillig nicht verlassen wollen, bezeichnet man sie als
Nestlinge (= sie liegen oder sitzen im Nest).
Ab einem gewissen Alter (bei kleinen Arten früher als bei großen) verlassen die meisten Nestlinge noch flugunfähig aber bereits durch ihr Federkleid gegen Kälte geschützt das Nest und klettern in nahe gelegenem Geäst und Buschwerk herum. In dieser Entwicklungsphase werden sie als
Ästling bezeichnet (= sitzen und klettern auf Ästen). Diese Jungvögel werden bis zum Selbstständigwerden
von ihren Eltern weiter mit Futter versorgt und auch gegen Fressfeinde beschützt. Gerade Ästlinge werden zumeist als elternlose, verlassene Kinder von Menschen eingesammelt –
sie sind aber unbedingt in Ruhe zu lassen!
Sondersituation Stadtbereich
Im Wiener Stadtgebiet ist mit den Jungen dreier Greifvogel- und Eulenarten zu rechnen –
Turmfalke, Waldohreule, Waldkauz. Während Waldohreulen und Waldkäuze eher in Außenbezirken mit reichem Baum- und Buschangebot anzutreffen sind, kann man junge Turmfalken auch mitten in der Stadt finden. Ein junger Falke der am Gürtel, am Ring oder einer ähnlich stark befahrenen Straße versucht, sein Ästlingsstadium zu überleben, ist sehr wohl auf menschliche Hilfe angewiesen. Bevor ein solcherart gefährdeter Jungvogel aber zur weiteren Aufzucht in menschliche Pflege übernommen wird, sollte abgeklärt werden, ob nicht die Möglichkeit besteht, den
Ästlingen auf einem Flachdach, Baum oder ruhigen Balkon in unmittelbarer Nähe seines Fundortes unterzubringen. Hier können ihn seine Eltern während der wenigen Tage bis zum Erreichen seiner Flugfähigkeit mit Nahrung versorgen.
Auch junge Waldohreulen oder Waldkäuze sind, am Boden gefunden, in nächster Nähe ebenfalls auf Bäume oder Flachdächer zu setzen.
Die Eltern kommen bestimmt, auch wenn sie im Moment nicht zu sehen sind!
Wirklich verwaist
Genaue, geduldige und lange Beobachtung kann darüber Aufschluss geben, ob der gefundene Jungvogel von seinen Eltern verlassen wurde.
Die Beobachtung hat aus einiger Entfernung in einem guten Versteck stattzufinden.
Eulen füttern ihre Jungen in der Dämmerung, Falken tagsüber. Kommt nach
einigen Stunden kein Elternteil, ist anzunehmen dass der kleine Vogel nicht mehr weiter versorgt wird und den Eltern ein Unglück zugestoßen ist.
Prägung
Jedes junge Tier, ob Säuger oder Vogel, durchläuft in früher Jugend kritische Phase, in denen sehr schnell gelernt wird. Bestimmte Umwelteindrücke hinterlassen einen dauerhaften und stabilen Eindruck. So prägen sich in kurzer Zeit z. B. der Artgenosse, der spätere Geschlechtspartner, Nahrung, Gesänge, Orte, etc. fürs ganze Leben.
Jungvögel, die während einer solchen
sensiblen Phase in menschliche Pflege übernommen werden, können z. B. während der Prägungszeit auf den Geschlechtspartner den menschlichen Pfleger als solchen ansehen. Später haben handaufgezogene Tiere größte Probleme mit einem „echten“ Artgenossen ein Paar zu bilden, sie versuchen immer wieder zu Menschen, also
zu ihrem Partner, Kontakt zu bekommen.
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Freigelassene, fehlgeprägte, wehrhafte Tiere verursachen für Menschen größte Probleme.
Wohin mit dem Waisenkind?
Nachweislich elternlose Eulen- und Greifvogelkinder sollten möglichst schnell in erfahrene Hände übergeben werden.
In der
Greifvogelstation Haringsee werden pro Jahr ca. 150 Jungvögel verschiedenster Greifvogel- und Eulenarten aufgezogen und später freigelassen.
Um Fehlprägungen auf Menschen zu vermeiden werden alle Jungen einer Art in Gruppen aufgezogen oder Ammenpaare der gleichen Art zur Aufzucht anvertraut.
Auch das Institut für Parasitologie und Zoologie sowie die Vogelklinik der Veterinärmedizinischen Universität Wien oder der Wiener Tierschutzverein übernehmen bis zum Transport in die Greifvogelstation vorübergehend Findelkinder.
Erste Hilfe
Der nach Hause mitgenommene Jungvogel wird am besten in eine
Schachtel, die mit Küchenrolle oder Toilettepapier ausgelegt ist, gesetzt.
Untergebracht wird der Jungvogel in einem
abgeschiedenen Raum, die Schachtel gewährt ihm Dunkelheit und Ruhe.
Wasser und Nahrung ist während der kurzen Aufbewahrungszeit nicht erforderlich.
Besteht keine Möglichkeit das Jungtier sofort einer der nebenstehend genannten Institutionen zu übergeben, sollte an heißen Tagen Wasser angeboten werden.
Niemals Wasser mit dem Löffel, einer Spritze oder einer Pipette einflößen. Ein kleiner Vogel kann die Flüssigkeit sehr schnell in den „falschen Hals“ bekommen und daran zugrunde gehen.
Wasser wird
tropfenweise vom eingetauchten Finger auf die Spitze des Oberschnabels getupft, der Vogel schluckt genug Flüssigkeit ab (so werden auch junge Vögel aller anderen Arten sowie schwache Altvögel mit Wasser versorgt).
Nahrung braucht das Jungtier vorübergehend nicht.
Rinderherz versehen mit geriebenen Schneckenschalen (Kalkzufuhr!) kann für 1 -2 Tage die
natürliche Nahrung Maus ersetzen.
Jungtiere anderer Arten
Der Schwerpunkt der Station Haringsee liegt bei der Aufnahme, Pflege und Freilassung heimischer Eulen- und Greifvogelarten. Gelegentlich werden auch Jungtiere anderer Arten, wie z. B. Mauersegler, Störche, Schwalben, Stockenten, Igel, Eichhörnchen, Feldhasen, etc. zur Aufzucht und Freilassung übernommen. Wir stehen aber mit Informationsmaterial über die Aufzucht und Freilassung dieser Tierarten gerne zur Verfügung.
Noch einige Tipps
Vogeleltern reagieren nicht auf Menschengeruch! Junge Greifvögel und Eulen (und alle anderen Vogelarten) können, um sie auf eine erhöhte Stelle zu setzen, in die Hand genommen werden.
Viele Greifvogel- und Eulenkinder werfen sich bei Gefahr auf den Rücken, fauchen, knappen mit dem Schnabel und verkrallen sich in den Angreifer. Besonnenes und entschlossenes Hantieren mit den Jungvögeln erspart Stress für die Kleinen und Kratzwunden an den „rettenden“ Händen.
EGS-Tagebuch - 4. Mai, 17:21